Seit 2011 ruft der NABU bundesweit zur Zählung der Wintervögel über jeweils eine Stunde am ersten Januarwochenende auf. Zählpunkte können im Siedlungsraum z.B. Garten, Balkon, Fenster oder Stadtpark sein.
Die Zählaktion erfreut sich großer Beliebtheit, auch in Bielefeld. Der Rekord wurde im Coronajahr 2021 aufgestellt: 1.092 Beobachter*innen an 786 Orten (wohl meist Gärten oder wohnungsnahe Grünanlagen) erfassten 22.161 Vögel von 72 Arten mit durchschnittlich 28,1 Individuen pro Zählpunkt. Dieses Jahr (2023) wurde nur ein gutes Drittel dieser Dimensionen erreicht: 381 Teilnehmer*innen zählten an 302 Orten 8.852 Vögel von 64 Arten mit durchschnittlich 29,3 Individuen pro Zählpunkt (Grafik 1 bis 3).
Im 13jährigen Mittel (2011-2023) wurden in Bielefeld 34,0 Vogelindividuen pro Zählpunkt festgestellt. Insgesamt wurden bei den Zählungen dieser 13 Jahre etwa 88 Vogelarten in Bielefeld beobachtet (wahrscheinliche Fehlbestimmungen nicht berücksichtigt). Bundesweit erfassten im Rekordjahr 2021 fast 230.000 Beobachter*innen an knapp 160.000 Zählpunkten über 5,5 Millionen Vögel von 196 Arten, während es dieses Jahr gab nur noch 99.359 Beobachter*innen an knapp 68.000 Gärten mit 2,27 Mio. Vögeln waren – also ein ähnlich starker Rückgang wie in Bielefeld.
Grafiken 1 bis 3: Anzahl der Teilnehmer, Zählpunkte, Gesamtzahlen der beobachteten Arten und Individuen, die 40 weitverbreitetsten Wintervogelarten in Bielefeld. Zum Vergrößern anklicken!
Die Zählreihe 2011 bis 2023 belegt, dass sich der bundesweite Verlust an Vogelindividuen auch in Bielefeld bemerkbar macht: Die Individuenzahl pro Zählpunkt nimmt statistisch signifikant ab, im Mittel um etwa 1,3 Individuen pro Jahr – das sind jährlich etwa 2,6% des Startwertes von 2011 (Grafik 9)! Allerdings blieb die Individuenzahl in den letzten 5 Zähljahren nahezu stabil.
Die 13-jährigen Zählergebnisse der häufigeren Arten in Bielefeld zeigen etwa gleich viele Arten mit abnehmenden und stabilen (ungerichteten) Bestandstrends, aber nur zwei Arten mit positiver Bestandsentwicklung (Grafiken 4 bis 8).
Gegenüber den letzten Trendschätzungen haben sich Grünspecht und Saatkrähe (diese allerdings stark schwankend, Grafik 8) verbessert und zeigen nun doch eine eher positive Tendenz. Dagegen hat sich der Eichelhäher verschlechtert (Tendenz nun abnehmend, niedrigster Wert der Zählreihe); dies entspricht der bundesweiten Beobachtung, die mit der großen Fülle an Früchten im Mastjahr der Bäume (Eiche, Buche) erklärt wird, die den Hähern keine Veranlassung gibt, in den Siedlungen nach Futter zu suchen. Auch im Mastjahr 2021 hatte der Eichelhäher einen Tiefpunkt bei der Zählung erreicht.
Grafiken 4 bis 5: Wintervögel in Bielefeld mit ungerichtetem Trend.
Grafiken 6 bis 8: Wintervögel in Bielefeld mit ab- und zunehmendem Trend.
Grafik 9: Rückgang der Individuenzahl pro Zählpunkt (Hinweis: die lineare Trendlinie aus MS-Excel entspricht nicht der Regressionsgeraden). Zum Vergrößern anklicken!
Mögliche Gründe für den insgesamt negativen Trend sind:
1) der allgemeine Rückgang der Vogelindividuen bei den Brutvögeln in Deutschland
2) speziell bei den Wintervögeln im Siedlungsbereich: die zunehmend milden Winter und der damit verbundene Rückgang der Wintergäste aus Nord- und Osteuropa.
3) Bei Baumsamenfressern die zunehmende Häufigkeit an Mastjahren.
Zu 1) Etwa 7 Millionen Brutpaare verschwanden zwischen 1992 und 2016 in Deutschland, das sind etwa 14 Millionen Vögel! Bei einem aktuellen Bestand in Deutschland von etwa 85,6 Mio. Revieren/Brutpaaren war das fast ein Zehntel aller Vögel (Weitere Informationen: Gerlach, Dröschmeister, Langgemach et al. 2019: Vögel in Deutschland – Übersichten zur Bestandssituation. DDA, BfN, LAG VSW, Münster).
Zu 2) Die Gruppe der klassischen Wintergäste (Arten, die bei uns gar nicht, nur ausnahmsweise oder zumindest relativ selten brüten: Wacholderdrossel, Birken- und Erlenzeisig, Bergfink, Nebelkrähe, Gänsesäger, Rotdrossel, Kornweihe) zeigt einen deutlich negativen Trend (Grafik 10, blaue Kurve). Allerdings belegen die Beobachtungszahlen (noch) keinen umgekehrten Trend: die früh zurückkehrenden Kurzstreckenzieher, die gelegentlich auch Überwinterungsversuche bei uns wagen (Star, Zilpzalp, Mönchsgrasmücke, Singdrossel, Hausrotschwanz, Bachstelze, Misteldrossel) bleiben insgesamt auf einem niedrigen Niveau (Grafik 10, grüne Kurve) und werden nicht zahlreicher, wie es der Klimawandel erwarten ließe.
Zu 3) Es wird vermutet, dass zwischen dem Klimawandel und der Häufung von Mastjahren ein Zusammenhang besteht.
Aufgeschlüsselt nach Verwandtschaftsgruppen mit ähnlichen Nahrungsgewohnheiten nehmen die Meisen am stärksten ab, gefolgt von den Finken und den Drosseln (Grafik 11, blaue, braune und gelbe Kurven). Alle drei genannten Gruppen enthalten auch Wintergäste, die im Gartenumfeld wohl besonders den Winterbestand der Meisen prägen. Die Rabenvögel (Dohle, Saat-, Raben- und Nebelkrähe, Elster, Eichel- und Tannenhäher, Kolkrabe) und Spechte (Bunt-, Mittel-, Klein-, Grün- und Schwarzspecht) scheinen dagegen als Gruppen weitgehend stabile Bestände zu haben (Grafik 11, graue und rote Kurve).
Grafiken 10 und 11: Gruppentrends (Arten siehe Text) von klassischen Wintergästen, Invasionsvögeln und ausgewählten Verwandtschaftsgruppen (Hinweis: die linearen Trendlinien aus MS-Excel entsprechen nicht den Regressionsgeraden). Zum Vergrößern anklicken!
Der NABU-Bundesverband hat einen ausführlichen Ergebnisbericht über „15 Jahre Vogelzählung und Citizen Science im NABU“ veröffentlicht, mit vielen weitergehenden Auswertungen, u.a. auch zu den bundesweiten Wintervogelzählungen.
Ein zusammenfassender Bericht über die Ergebnisse der Bielefelder Garten- und Wintervogelzählungen 2006 bis 2021/22 ist im 15. Jahresheft des NABU Bielefeld erschienen: