Mehrere Banner machen in den nächsten Monaten auf die Gefährdung des wertvollen Landschaftsraums Hollen-Holtkamp-Ströhen durch den von Amprion geplanten „Phasenschieber“ aufmerksam (Foto: M. Ottensmann).
Mit einem offenen Brief an die Amprion GmbH, einer Stellungnahme an die Bundesnetzagentur und einer Pressemeldung wenden sich die Umwelt- und Naturschutzverbände aus Bielefeld und dem Kreis Gütersloh gegen den Standort Hollen-Holtkamp-Ströhen als Suchgebiet für den „Phasenschieber Ostwestfalen“. Träger der gemeinsamen Aktion sind der Naturschutzbund Deutschland (NABU Bielefeld und Gütersloh), der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND Bielefeld und Gütersloh), die Gemeinschaft für Natur- und Umweltschutz im Kreis Gütersloh (GNU/LNU), der Naturwissenschaftliche Verein für Bielefeld und Umgegend (NWV/LNU), der Verein pro grün Bielefeld (LNU) und das Aktionsbündnis „Rettet den Naturraum Holtkamp-Ströhen“.
Ziel ist es, eine genaue und sorgfältige Standortprüfung im Genehmigungsverfahren durchzuführen und dafür die besondere Schutzwürdigkeit des Landschaftsraums Hollen-Holtkamp-Ströhen zu dokumentieren. Denn immer noch ist das von Amprion angestrebte Plan- und Genehmigungsverfahren unklar und damit auch die Beteiligungsmöglichkeiten der Öffentlichkeit. Die Verbände betonen, dass es ist besser ist, bereits vorbelastete Standorte zu wählen, als 9 Hektar freier Landschaft mit diesem Großprojekt zu zerstören.
Landschaft in Holtkamp und Karte der Suchgebiete (aus www.amprion.net).
Quasi „über Nacht“ hat die Firma Amprion im März 2023 in Zeitungsanzeigen Kartierungsarbeiten angekündigt, um „Aufschluss über relevante umwelt- und artenschutzrechtliche Aspekte“ im Bereich der Gemarkungen Gütersloh-Hollen-Isselhorst-Niehorst, Bielefeld-Holtkamp, Halle-Künsebeck-Tatenhausen und Steinhagen-Brockhagenzu erhalten.
In den in der Bekanntmachung aufgelisteten Flurstücken sollen Biotoptypen, Fledermäuse, Brutvögel und Amphibien erfasst werden. In einer Informationsveranstaltung Ende April in Brockhagen wurde erläutert, dass ein „Phasenschieber“ benötigt werde, um das nördliche Übertragungsnetz von Amprion zu steuern beziehungsweise Überlastungen im Netz zu vermeiden und für eine optimale Netzauslastung sorgen. Als Teil der Energiewende sei diese Maßnahme im Bereich zwischen den bestehenden Umspannanlagen Hesseln und Gütersloh notwendig, um Strom von den Erzeugungsflächen an der Nordsee in die Verbrauchsflächen zu transportieren. Amprion ist einer von vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland und unterhält ein Höchstspannungsnetz von 11.000 Kilometern. Details der Projektbeschreibung finden sich auf der Amprion-Homepage.
Nachfragen in der Infoveranstaltung erhellten die riesige Dimension der Anlage: Kernstück des Phasenschiebers sind zwei große, jeweils 310 Tonnen schweren Transformatoren sowie Drosselspulen, die von Schallschutzwänden umgeben werden sollen (es wird ein Schallwert von 80 dB erwartet). Offen sei, ob die Anlage freistehend oder eingehaust werde. Dafür wird eine ca. neun Hektar große Betriebsfläche benötigt (entspr. etwa 12 Fußballfelder), zusätzlich einer schwerlastgeeigneten Zuwegung für Baufahrzeuge und den Antransport der Transformatoren. Ein weiterer Flächenbedarf kommt durch die notwendigen Ausgleichsflächen hinzu, die im Verhältnis zwischen 1:1 und 1:4 liegen können.
Höchst irritierend ist, dass dieses Großprojekt weder bei Planung und Umbau der Hochspannungsleitung Hesseln-Gütersloh zur Höchstspannungstrasse, noch im Entwurf des Regionalplans zur Sprache kam. Hier soll ganz offensichtlich ein sensibles Projekt „durch die Hintertür“ unter Ausschaltung einer breiten Öffentlichkeit realisiert werden, denn das Verfahren soll laut NW vom 4. Mai 2023 nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz als vereinfachtes Genehmigungsverfahren und damit ohne direkte Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt werden!
Wer sich also zu dem Projekt äußern möchte, muss dies auf anderem Wege tun, z.B. durch Eingaben bei Behörden und Politik, durch Demonstrationen und öffentliche Meinungsäußerungen, oder durch Unterstützung der Petition:
Das Aktionsbündnis hat eine Petition „Rettet den Naturraum Holtkamp-Ströhen - Für eine möglichst naturverträgliche Energiewende“ gestartet. Wir rufen dazu auf, diese Petition zu unterstützen!
Landschaft und Vogelwelt in Holtkamp-Ströhen (Fotos: J. Albrecht, H. Domass, A. Schäfferling).
Noch sind die Ergebnisse der von Amprion beauftragten Untersuchungen nicht bekannt. Bekannt ist uns allen aber sehr wohl der hohe naturschutzfachliche Wert des Naturraums Hollen-Holtkamp-Ströhen, auf den das Aktionsbündnis und der NABU bei der Demo am 11. Juli (siehe unten) hingewiesen haben! Wir erwarten, dass dieser hohe Wert auch durch die Untersuchungen bestätigt wird und werden genau darauf achten, ob diese sorgfältig und fachkundig durchgeführt wurden.
Schon seit Jahrzehnten führen der NABU Bielefeld, die Biologische Station Gütersloh-Bielefeld und weitere Naturschützer mit der Unterstützung von Landwirten dort grenzüberschreitende Artenschutzprojekte, insbesondere zum Schutz des Steinkauzes (vgl. z.B. NABU-Steinkauzprojekt, Infoseiten der Biostation über die Feuchtwiesen Ströhenund das NSG Deterings Wiesen) und weiterer seltener Wiesen- und Feldvögel durch.
Dadurch verfügen wir über eine exzellente Datengrundlage zur ökologischen Bewertung des Gebietes.
Noch finden sich dort neben dem Steinkauz u.a. Großer Brachvogel, Kiebitz und Rebhuhn. Der (noch) hohe Grünlandanteil, die Jahrhunderte andauernde, historische bäuerliche Bewirtschaftung und damit verbundene Landschaftsentwicklung sowie die überwiegend kleinteilige Struktur stellen für den Arten- und Biotopschutz ein hohes Gut dar, das anderswo nur noch selten zu finden ist. Allein die historische Landschaftsentwicklung als Voraussetzung für die Einwanderung der heute gefährdeten Arten kann nirgendwo sonst ersetzt werden. Die stark gefährdeten Wiesenvögel benötigen solche Strukturen, weshalb die Naturschutzverbände in ihrer Stellungnahme zum Regionalplan den Raum Hollen-Holtkamp-Ströhen als "Bereich für den Schutz der Landschaft mit besonderer Bedeutung für Vogelarten des Offenlandes" vorgeschlagen hatten. Diesem Vorschlag ist die Bezirksregierung bislang leider nicht gefolgt – etwa, weil dort im stillen Hintergrund schon über den Phasenschieber verhandelt wurde??
Die nachfolgenden Abbildungen zum Vorkommen von Wiesenvögeln und Steinkauz verdeutlichen, dass die Amprion GmbH mit dem Raum Hollen-Holtkamp-Ströhen ausgerechnet den weit und breit besten Hotspot der biologischen Vielfalt als Suchgebiet gewählt hat:
Abb. Links: Verbreitung der Wiesenvogelarten Kiebitz und Großer Brachvogel im Zeitraum 2004 bis 2022.
Abb. Rechts: Steinkauzreviere 2017/2020 im Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen: Kartenauszug aus: Biologische Station Gütersloh/Bielefeld 2021: Wiesenvogelkartierung 2020; weiße Kreise = Reviernachweis 2017, orange Punkte = Reviernachweis 2020. Rotes Oval = Amprion-Suchraum.
Weitere Vorkommen geschützter bzw. bedrohter Vogelarten des (Halb-)Offenlandes, deren Populationen zumeist einen ungünstigen Erhaltungszustand aufweisen (vgl. dazu die Übersicht des LANUV), gibt es im Suchgebiet u.a. von Flussregenpfeifer, Knäkente, Rebhuhn, Wachtel, Weißstorch, Feldlerche, Heidelerche, Schwarzkehlchen, Neuntöter, Gartenrotschwanz und Kuckuck. Wir sind gespannt, ob die angekündigten Kartierungen entsprechende Ergebnisse erbringen, oder ob einiges davon „übersehen“ wird!
Nicht zufällig weisen alle drei berührten Kommunen im Suchgebiet mehrere Naturschutzgebiete und nahezu flächendeckend Landschaftsschutzgebiete auf. Dort ist es u.a. verboten, bauliche Anlagen zu errichten. Wir fordern, dort auch keine Ausnahmen für den Phasenschieber zuzulassen! Sämtliche in den Landschaftsplänen Bielefeld, Gütersloh und Steinhagen dargestellten Entwicklungsziele laufen der Nutzung für einen großflächigen Phasenschieber zuwider.
Hinzu kommen mehrere Geschützte Landschaftsbestandteile, zahlreiche gesetzlich geschützte Biotope sowie weitere schutzwürdige Biotope nach Landeskataster NRW. Selbst der Regionalplanentwurf OWL hebt den Raum als besonderen „Kulturlandschaftsbereich Holtkamp“ hervor mit als sehr hoch (herausragend) bewerteten Landschaftsbildeinheiten, ordnet weiten Teile des Suchraumes Biotopverbundstufen zu und stellt sie als Bereich zum Schutz der Natur (BSN) dar.
Im Fachbeitrag des LANUV zum Regionalplanentwurf ist der Naturraum als Unzerschnittener verkehrsarmer Raum (UZVR) der Größenklasse >10-50 km² ausgewiesen. In Bielefeld gibt es nur noch zwei weitere UZVR dieser Größenkategorie (geschweige denn größere Kategorien), was den Naherholungswert für Spaziergänger, Radfahrer und Reiter unterstreicht. Auch im Stadtgebiet Gütersloh ist diese Kategorie rar und damit unbedingt erhaltenswert. Größere Erschließungsmaßnahmen für schwerlastfähige Transporte beeinträchtigen oder zerschneiden jedoch die UZVR.
Im Naturschutzkonzept der Stadt Bielefeld ist der Raum Holtkamp durchweg als Naturschutz-Vorranggebiet oder als Landschaftsraum mit hoher Schutzfunktion ausgewiesen. Der Flächennutzungsplan Gütersloh 2020 stellt im Raum Ebbesloh-Hollen sowie nordöstlich von Isselhorst großflächig „Flächen zur Entwicklung der Natur“ dar. Diese Flächendarstellungen dienen der Sicherung und Entwicklung der ökologischen Funktionen der Freiflächen für den lokalen Biotopverbund, das Stadtklima und für die landschaftsgebundene Erholung sowie als Suchräume zur Anordnung von Ausgleichsflächen und stehen damit im harten Widerspruch zu einem großflächigen Phasenschieber.
Mehr Gründe, die eindeutig gegen die Versiegelung und Erschließung durch einen Phasenschieber im Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen sprechen, sind kaum vorstellbar!
Angesichts der zahlreichen hochwertigen Merkmale von Natur und Landschaft verwundert die hohe Bedeutung für die landschaftsorientierte Naherholung der Bielefelder und Gütersloher Bevölkerung nicht. Die Wirtschaftswege werden vielfach für Radausflüge und Spaziergänge genutzt, es bestehen zahlreiche Reiteinrichtungen und Reiterhöfe sowie Hundeplätze. Ein optisch wie akustisch stark störender Phasenschieber würde zu einer deutlichen Entwertung und massiven Beeinträchtigung der Erholungseignung führen. Wirtschaftliche Schäden für Erholungseinrichtungen wären nicht auszuschließen.
Aus den geschilderten und gut dokumentierten Gründen wird der Bau eines großflächigen Phasenschiebers im Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen nachdrücklich abgelehnt. Derartige emissionsträchtige Großanlagen sollten vorrangig an bereits vorbelasteten Standorten (hier vorrangig im Verbund mit vorhandenen Umspannwerken) erstellt werden und nicht neue Emissionsquellen in unbelasteten, hochwertigen und ruhigen freien Landschaftsteilen begründen. Wir lehnen das Vorhaben für den Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen nachdrücklich ab und empfehlen, die Anlage an vorhandene vergleichbare Strukturen anzubinden.
Am 27. Juni hat der Bielefelder Stadtrat eine gemeinsame Resolution von CDU, SPD, Grünen und Linken beschlossen, die sich gegen einen Standort im Suchraum Hollen-Holtkamp-Ströhen für den von Amprion geplanten Phasenschieber ausspricht. Der besondere Wert von Natur und Landschaft stehe der Ansiedlung einer großtechnischen Anlage in diesem Suchraum entgegen. Die Amprion GmbH wurde aufgefordert, diesen Suchraum nicht weiter zu verfolgen.
Die Naturschutzbeiräte bei den unteren Naturschutzbehörden in der Stadt Bielefeld und im Kreis Gütersloh haben sich einhellig gegen den möglichen Phasenschieber-Standort Holtkamp-Ströhen ausgesprochen und setzen sich für den Erhalt der dortigen artenreichen Kulturlandschaft ein. Sie unterstützen die Forderungen des Bürgerantrages an die Firma Amprion, auf den Bau der Anlage im Suchraum Hollen-Holtkamp-Ströhen zu verzichten. In ihren Sitzungen am 6.2.2024 in Bielefeld und am 21.3.24 in Gütersloh regen sie u.a. eine enge Kooperation der Kommunen Bielefeld, Gütersloh und Steinhagen zur gemeinsamen Abwehr des möglichen Bauvorhabens in diesem Naturraum an und fordern ein transparentes Genehmigungsverfahren mit Beteiligungsmöglichkeit der Öffentlichkeit ein. Dazu seien alle für die Standortsuche relevanten und ermittelten Daten offen zu legen und bei der Standortentscheidung die Naturschutzbeiräte und die Unteren Naturschutzbehörden der Stadt Bielefeld und des Kreises Gütersloh zu beteiligen.
Weitere Informationen in den Rats- bzw. Kreistagsinformationssystemen von Bielefeld und Gütersloh sowie in den Presseberichten vom 26.3.2024 (vgl. Presseberichte unten).
Am 12.3.2024 hat der Anregungs- und Beschwerdeausschuss der Stadt Bielefeld über einen Bürgerantrag zur geplanten Errichtung eines Phasenschiebers durch die Fa. Amprion im Bereich Hollen-Holtkamp-Ströhen beraten. Der Antrag fordert die Stadt Bielefeld auf, die Firma Amprion von der naturschutzfachlichen Problematik eines Baus im Bereich Holtkamp in Kenntnis zu setzen und sie aufzufordern, die Holtkämper Flächen für etwaige Planungen als ungeeignet auszuschließen.
Des Weiteren wird angeregt, gemeinsam mit den betroffenen Nachbarkommunen nach Möglichkeiten zu suchen, den Bau der Anlage auf den genannten Flächen zu verhindern, und eine netztechnische Prüfung zur tatsächlichen Notwendigkeit der Phasenschieber auf diesem Netzabschnitt durchführen zu lassen. In der Diskussion äußerten mehrerer Ausschussmitglieder Kritik am Standort und Verfahren. Die Entscheidung über den Bürgerantrag wurde aufgrund verschiedener offener Fragen an den Ausschuss für Umwelt und Klimaschutz (AfUK) verwiesen. In seiner Sitzung am 23.4.2024 beschloss der AfUK, eine Resolution des gesamten Rates auf den Weg zu bringen.
Weitere Informationen im Ratsinformationssystem der Stadt Bielefeld.
Anlässlich der Vorstellung des Projekts Phasenschieber OWL im Bielefelder Ausschuss für Umwelt- und Klimaschutz durch die Amprion GmbH bekräftigten das Aktionsbündnis und die unterstützenden Verbände vor dem Rathaus und im Sitzungssaal nochmals ihre ablehnende Haltung gegen einen Phasenschieber-Standort im Naturraum Hollen-Holtkamp-Ströhen. Neuigkeiten erbrachte die Vorstellung leider nicht, jedoch etliche, auch kritische Nachfragen aus der Politik (siehe auch Presseberichte).
Banner und Protestplakate vor dem Alten Rathaus Bielefeld gegen den Phasenschieberstandort Hollen-Holtkamp-Ströhen (Fotos: J. Albrecht)
Das Sonntagsvideo der Kirchengemeinde zum Thema „Naturschutz“ beschäftigt sich intensiv mit dem Konflikt Phasenschieber gegen Naturschutz, u.a. mit einem Gespräch zwischen Pfarrerin Kirsten Schumann, Kathrin Weber von „Aktionsbündnis Rettet den Naturraum Holtkamp-Ströhen“ und Jürgen Albrecht vom NABU Bielefeld. Der Gottesdienst kann online bei Youtube verfolgt werden.
Bilderstrecke zum Sonntagsvideo, aufgenommen an der Stadtgrenze Holtkamp-Ströhen am 19.7.2023
Das Aktionsbündnis „Rettet den Naturraum Holtkamp-Ströhen“ rief zur Demo am 11. Juli 2023 um 17 Uhr an der Altstädter Nikolaikirche auf, um für die Erhaltung des Naturraumes Hollen-Holtkamp-Ströhen zu werben. Angesichts der vorgesehenen spärlichen Öffentlichkeitsbeteiligung im Verfahren war und ist es besonders wichtig und notwendig, öffentlichkeitswirksam auf diese weitere Bedrohung eines ökologisch wertvollen Gebietes hinzuweisen. Denn es ist nicht das erste Mal, dass in Holtkamp Ausnahmen zugelassen wurden – aktuelles Beispiel ist die eine Reitsportanlage, gegen die der BUND vehement (und hoffentlich erfolgreich!) kämpft.
Bilderstrecke von der Demo am 11. Juli 2023 in der Bielefelder Altstadt (Fotos: J. Albrecht).